Warum die Bäume nicht mehr reden
Habt ihr gewusst, dass die Bäume früher sprechen konnten – ganz wie wir Menschen? Manch einer behauptet sogar, wir hätten das Reden erst von den Bäumen erlernt. Vor vielen, vielen Jahren konnte von Ruhe in den Wäldern also keine Rede sein. Das war ein Plappern und Quasseln! Die große Tanne rief ihrer Freundin der Buche über viele Meter weit die neuesten Neuigkeiten zu.
Und wurde ein Baum gefällt und zu einem Möbelstück verarbeitet, war noch lange kein Ende in Sicht. Tische, Bänke und Stühle redeten ohne Unterlass. Und die Zoten, die die Dachbalken von sich gaben – davon mag ich gar nicht erst anfangen. Nun lebte in den Wäldern zu dieser Zeit ein großer Magier. Immer wieder kamen die Menschen aus der Umgebung zu ihm und fragten, ob er nicht etwas gegen das Geplapper der Bäume unternehmen könnte, es sei doch recht anstrengend und verdrießlich und nachdem der Zauberer seinen 3458. Geburtstag gefeiert hatte, ging ihm das andauernde Gerede der Bäume allmählich selbst auf die Nerven. Wollte er einfach in Ruhe sein Pfeifchen auf der Bank vor seiner Hütte rauchen, dann beschwerte sich das Möbelstück, dass er doch bitte besser auf sein Gewicht achten sollte, allmählich würde er wirklich zu schwer. Und dann begann sich der Hollerbusch im Garten über die Amseln zu beklagen und der Ginster riss einen Kalauer nach dem anderen. Wollte der Magier einen Zaubertrank brauen, den er an abergläubige Dorfbewohner verkaufen konnte, wusste der hölzerne Kochlöffel auf einmal alles besser. Und von einem entspannten Spaziergang konnte erst recht keine Rede sein. Der Zauberer wurde immer griesgrämiger. Die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden wuchs. Aus dem Wald fortzuziehen erschien ihm auch nicht als gute Lösung, denn ein Magier, der etwas auf sich hält, muss schließlich in einem düsteren Wald oder auf einer finsteren Burg hausen. Wer sollte sonst noch Respekt vor ihm haben? Finstere Burgen waren aber damals eine ebensolche Mangelware, wie heutzutage bezahlbarer Wohnraum in Großstädten. Er musste sich etwas anderes überlegen. Er wälzte Zauberbuch um Zauberbuch und endlich fand er den passenden Spruch. „Abrakadabra rowo, rowo, drim male geswigen“, dazu den Zauberstab im richtigen Schwung geführt und es legte sich ein großes Schweigen über den Wald. Nun haben die Bäume ihre eigene Sprache. Ihr hört sie als Rascheln der Blätter und als Knarzen der Dielen. Und wenn ihr und ganz leise seid und ganz genau hinhört, dann versteht ihr vielleicht sogar die ein oder andere Geschichte.

Sehr, sehr frei erzählt nach einem Märchen aus Estland. In diesem Märchen äußern sich die Bäume allerdings nur, wenn sie gefällt werden und ist es Jesus Christus, der die Bäume zum Schweigen bringt, nachdem sich ein Holzfäller bei ihm darüber beschwert, dass die Tannen schreien und weinen, wenn er sie schlagen will.



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